Zusammenhalt in Gefahr 10 Grundsätze: Was die EU jetzt für gerechte Transformation leisten muss!

von Sabrina Repp, MdEP | Matthias Ecke, MdEP
20.10.2025

Die Europäische Kommission hat im Juli 2025 ihren Vorschlag für den Mehrjährigen Finanzrahmen (MFR) 2028–2034 vorgelegt. Der Vorschlag markiert einen tiefen Einschnitt in die europäische Kohäsionspolitik: Künftig sollen Kohäsionsmittel nicht mehr differenziert nach Regionen, sondern zentral auf Ebene der Mitgliedstaaten verwaltet werden. In Deutschland wären damit vor allem die Bundesländer von direkter Mitbestimmung ausgeschlossen. Statt gezielter Förderung nach regionalem Bedarf droht ein zentralistisches Gießkannenprinzip.
Damit besteht die Gefahr, dass regionale Unterschiede bei der Mittelvergabe künftig deutlich weniger berücksichtigt werden. Durch den veränderten Verteilmechanismus könnten regionale Perspektiven und Bedarfe künftig kaum noch wirksam eingebracht werden.
Zwischen wirtschaftsstarken Regionen wie Bayern und strukturschwächeren wie Sachsen oder Mecklenburg-Vorpommern würde weniger differenziert. Regionen mit besonderen Herausforderungen – etwa durch Strukturwandel, Abwanderung oder demografischen Wandel – drohen dadurch spürbare Einbußen, obwohl ihr Unterstützungsbedarf weiterhin hoch ist. Die Vorschläge der Kommission markieren eine Abkehr vom bewährten Prinzip territorialer Kohäsion. Neue Prioritäten wie Verteidigung und Wettbewerbsfähigkeit sind zweifellos wichtig – doch sie werden losgelöst von ihrer territorialen Dimension gedacht. Gerade so droht der soziale Zusammenhalt an den Rand gedrängt zu werden. Gleichzeitig stehen die Rückzahlungen für das Corona-Wiederaufbauprogramm NextGenerationEU an. Droht nun ausgerechnet die langfristige Strukturförderung dafür geopfert zu werden?
Diese Reform träfe Ostdeutschland besonders hart – aber sie betrifft ganz Europa. Denn viele Regionen stehen angesichts des ökologischen und industriellen Wandels vor tiefgreifenden Veränderungen. Die Kohäsionspolitik muss deshalb gerade jetzt gestärkt werden – nicht geschwächt. Wir Sozialdemokrat:innen im Europäischen Parlament lehnen die Pläne der Kommission in ihrer aktuellen Form ab. Stattdessen fordern wir eine echte Reform im Sinne einer gerechten Transformation, basierend auf folgenden zehn Prinzipien:
1. Mehr als nur das BIP berücksichtigen:
Die künftige Mittelvergabe muss weiterhin auf regional differenzierten Wirtschaftsindikatoren beruhen – und dabei auch Armutsquoten, Arbeitslosigkeit und demografische Entwicklungen einbeziehen.
2. Mehrebenenverwaltung stärken: Regionen, Städte und Kommunen müssen mitentscheiden und -gestalten. Zentralisierung widerspricht dem Geist der Kohäsionspolitik.
3. Entbürokratisierung: Einfachere Verfahren und mehr Vertrauen in die regionale Umsetzung machen die Kohäsionspolitik wirksamer.
4. Krisenreserve etablieren: Ein EU-Krisenfonds muss verhindern, dass langfristige Kohäsionsziele durch kurzfristige Krisenreaktionen unterlaufen werden.
5. Soziale Gerechtigkeit im ökologischen Wandel: Transformationsregionen brauchen gezielte Unterstützung – mit Infrastruktur, Qualifizierung und sozialem Ausgleich. Der Mechanismus für einen gerechten Übergang (JTM) muss verbessert, nicht abgeschafft werden.
6. Regionale Entwicklung ganzheitlich denken: Ländliche und grenznahe Regionen brauchen spezifische Lösungen und mehr grenzüberschreitende Zusammenarbeit.
7. Europäische Wohnbaustrategie: Die Wohnungskrise ist eine europäische! Die Kohäsionspolitik muss mehr dazu beitragen öffentlichen Wohnungsbau und energetische Sanierungen zu fördern.
8. Rechtsstaatlichkeit als Bedingung: EU-Mittel dürfen nur fließen, wenn die Werte der Union eingehalten werden. Missbrauch muss ausgeschlossen werden.
9. Demografische Resilienz: Schrumpfenden Regionen muss mit Investitionen in Infrastruktur, Daseinsvorsorge und gute Jobs geholfen werden.
10. Bessere Kommunikation: Die Wirkung der Kohäsionspolitik muss sichtbarer werden – als konkrete Hilfe vor Ort und als europäisches Versprechen. Die Kohäsionspolitik ist mehr als Wirtschaftsförderung. Sie ist ein Versprechen für gleichwertige Lebensverhältnisse, sozialen Zusammenhalt und regionale Entwicklung in der gesamten EU.

In einer Zeit multipler Krisen und wachsender Ungleichheiten braucht es eine Kohäsionspolitik, die Vertrauen in Europa schafft und Zusammenhalt stärkt. Stattdessen droht ein Rückschritt hinter Jahrzehnte erfolgreicher Aufbauarbeit. Die bevorstehenden Verhandlungen müssen genutzt werden, um diesen Kurs grundlegend zu korrigieren.

Dieser Artikel erschien im SGK-Magazin in DEMO 03 (September 2025)