Positionspapier
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Positionspapier "SGB II – Änderungsgesetz ist ein richtiger Schritt zur Verbesserung des Sozialstaates"

26. Januar 2021

Aufgrund des Urteils des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 05. November 2019 (1 BvL 7/16) und der damit verbundenen Feststellung der teilweisen Verfassungswidrigkeit von Sanktionen zur Durchsetzung von Mitwirkungspflichten beim Bezug von Arbeitslosengeld II bedarf es einer Novellierung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch. Des Weiteren wurden im Rahmen der Corona-Pandemie Regelungen zum vereinfachten Zugang zu Sozialleistungen erlassen um die Auswirkungen der Pandemie auf den Arbeitsmarkt zu minimieren. Diese sind jedoch bis zum 31. März 2021 befristet. Der vorliegende Referentenentwurf zum Elften Gesetz zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales greift diese beiden zentralen Aspekte auf.

Zentrale Inhalte des Referentenentwurfs:
Der zur Bekämpfung der Auswirkungen der Corona-Pandemie eingeführte, erleichterte Zugang zu Leistungen des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch soll verstetigt werden. Insbesondere soll eine Karenzzeit von zwei Jahren eingeführt werden, innerhalb derer

  • die Aufwendungen der Leistungsberechtigten für Kosten der Unterkunft und Heizung (KdU) in tatsächlicher Höhe anerkannt werden.
  • selbstgenutztes Wohneigentum nicht als Vermögen berücksichtigt wird.
  • weiteres Vermögen nur berücksichtig wird, wenn es erheblich (60.000 Euro) ist.

Die im Sozialschutz-Pakt II befristeten Regelungen zur Mittagsverpflegung in Schulen und Werkstätten für behinderte Menschen werden bis Ende 2021 verlängert.
Des Weiteren werden die vom BVerfG geforderten Neuregelungen der Leistungsminderungen im SGB II umgesetzt wobei die Neuregelung folgende Kernelemente enthält:

  • Leistungsminderungen wegen wiederholter Pflichtverletzungen und Meldeversäumnisse dürfen höchstens 30 Prozent des maßgebenden monatlichen Regelbedarfs betragen.
  • Eine Leistungsminderung darf nicht erfolgen, wenn dies im konkreten Einzelfall zu einer außergewöhnlichen Härte führen würde.
  • Die bisherigen Sonderregelungen für unter 25-Jährige entfallen.

Rückforderungen von unter 36 Euro je Bedarfsgemeinschaft sollen künftig einer Bagatellgrenze unterliegen. Berechnungen des Deutschen Landkreistages können dadurch jährlich 47 Mio. Euro an Verwaltungsausgaben eingespart werden. 

Die gesetzlichen Regelungen zur Eingliederungsvereinbarung werden in beiden Rechtskreisen SGB II und SGB III weiterentwickelt. Das bisherige Instrument der Eingliederungsvereinbarung wird durch einen nicht rechtsverbindlichen Kooperationsplan ersetzt.

Erst wenn die Absprachen zu Eigenbemühungen nicht eingehalten werden, werden diesbezüglich Pflichten rechtlich verbindlich durch Aufforderungen mit Rechtsfolgenbelehrung festgelegt.

Um Geringqualifizierte auf dem Weg zu einer abgeschlossenen Berufsausbildung zu unterstützen und einen Zugang zum Fachkräftemarkt zu ermöglichen, soll Teilnehmerinnen und Teilnehmern an einer berufsabschlussbezogenen Weiterbildung sowohl im SGB II als auch im SGB III ein monatlicher Zuschuss von 75 Euro gewährt werden. Zudem soll in beiden Rechtskreisen eine dreijährige Ausbildung im Rahmen der beruflichen Weiterbildung förderfähig werden.

Laut Referentenentwurf entstehen den Kreisen und kreisfreien Städten durch die Neuregelungen im SGB II voraussichtlich Mehrausgaben in Höhe von rund 50 Mio. Euro jährlich.

Verfahrensablauf:
Das Gesetz soll zum 01. April 2021 in Kraft treten, um einen Anschluss an die zum 31. März 2021 auslaufenden Regelungen zum vereinfachten Zugang zu Sozialleistungen aus Anlass der Pandemie zu gewährleisten. Die Regelungen zur Anpassung des Vermittlungsvorrangs, zum Kooperationsplan, zu Leistungsminderungen und zur beruflichen Weiterbildung sollen hingegen erste zum 01. Juli 2021 in Kraft treten.

Bewertung des Referentenentwurfs:
Die Bundes-SGK begrüßt die von Bund und Ländern gefassten Entscheidungen zur Entlastung der kommunalen Finanzen während der Corona-Pandemie. Hierzu zählt vor allem die dauerhafte Übernahme von 75 % der Kosten der Unterkunft (KdU) durch den Bund. Dies entspricht im Haushaltsjahr 2021 einer Summe von voraussichtlich ca. 11,2 Mrd. Euro (also rund 3,7 Mrd. jährlich mehr als bisher). Auch die verabschiedeten Sozialschutz-Pakte haben erheblich dazu beigetragen, dass die Kommunen und deren Bürgerinnen und Bürger besser durch die Corona-Krise manövrieren können. Gleichwohl erinnern wir an das Konnexitätsprinzip und fordern Bund und Länder auf, die den Kommunen entstehenden Mehrausgaben zu ersetzen.

Der Vorstand der Bundes-SGK hat am 29. November 2019 in seinem grundsätzlichen Positionspapier „Kommunalpolitische Anforderungen an eine sozialpolitische Weiterentwicklung des SGB II und seiner vorgelagerten Sicherungssysteme“ zahlreiche Vorschläge zur Weiterentwicklung der sozialen Sicherungssysteme formuliert. Der vorliegende Referentenentwurf greift einige davon auf. Längere Karenzzeiten bei den Kosten zur Unterkunft aber auch die Regelungen zum Schonvermögen geben den Menschen Vertrauen und Sicherheit in die sozialen Sicherungssysteme. Sie ermöglichen die Konzentration auf Arbeitssuche oder berufliche Weiterbildung. Die im Entwurf formulierten Anreize zur Weiterbildung für Langzeitarbeitslose und gering Qualifizierte bieten diesen die Chance zur Teilhabe am Arbeitsmarkt ohne das Prinzip des „Fördern und Fordern“ auszuhöhlen. Die gesellschaftliche Mitte darf nicht zum Verlierer der Corona-Krise werden. Der vorliegende Referentenentwurf gibt den Bürgerinnen und Bürgern, die kurzfristig auf Sozialleistungen angewiesen sind und jenen die durch die aktuelle Corona-Pandemie und deren Auswirkungen in Notlage geraten mehr Sicherheit und Vertrauen in die sozialen Sicherungssysteme.

Der vorliegende Entwurf des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales stellt eine sinnvolle Weiterentwicklung des Sozialstaates dar. Er bietet die Chance, Fehlentwicklungen in der Hartz IV-Gesetzgebung weiter zu korrigieren und langjährige gesellschaftspolitische Debatten um Hartz IV zu beenden. Er stellt die Motivation der Bürgerinnen und Bürger zur Partizipation am Arbeitsmarkt in den Vordergrund und grenzt sich damit von Überlegungen zum bedingungslosen Grundeinkommen ab.

Die Bundes-SGK begrüßt daher ausdrücklich die von Bundesarbeitsminister Hubertus Heil vorgelegten Gesetzesänderungen.